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Mathematiker Faltings "Ich bin ein einigermaßen fauler Mensch"

Gerd Faltings hat 1986 die Fields-Medaille bekommen, die als Nobelpreis im Fach Mathematik gilt. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE kritisiert er das Mittelmaß an deutschen Hochschulen und verrät das Geheimnis seines Erfolges.
"Sie ist für viele Dinge gut, aber eben nicht für die Spitzenforschung", sagt Gerd Faltings über die Dezentralisierung der Universitäten in Deutschland

"Sie ist für viele Dinge gut, aber eben nicht für die Spitzenforschung", sagt Gerd Faltings über die Dezentralisierung der Universitäten in Deutschland

Foto: SPIEGEL ONLINE

Mathematiker stehen nur selten im Fokus. Das in diesem Jahr erstmals ausgerichtete Heidelberg Laureate Forum  soll das ändern. Noch bis zum Freitag diskutieren renommierte Mathematiker und Informatiker mit Nachwuchswissenschaftlern aus der ganzen Welt über die großen Probleme ihrer Fachgebiete. 200 junge Forscher treffen auf Fields-Medaillisten, Abel-Preisträger und mit dem Turing Award ausgezeichnete Informatiker.

Das von der Tschira-Stiftung unterstützte Treffen soll ab sofort jedes Jahr stattfinden. Einer der Stars auf dem Laureate Forum ist Gerd Faltings, der 1986 als bislang einziger Deutscher die Fields-Medaille bekommen hat - zusammen mit dem Abel-Preis die renommierteste Auszeichnung für Mathematiker. SPIEGEL ONLINE hat mit dem 59-jährigen Bonner Wissenschaftler gesprochen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben 1986 als einziger deutscher Mathematiker die Fields-Medaille bekommen. Warum ist das noch keinem anderen Deutschen geglückt?

Gerd Faltings: Ich kann es nicht genau sagen, aber mir fällt zum Beispiel auf, dass die Franzosen da erfolgreicher sind. Es könnte an der Zentralisierung liegen. In Paris treffen alle guten Leute aufeinander. Dadurch werden sie mehr gefordert als in unserem dezentralen System. Aber das ist nur eine Vermutung.

SPIEGEL ONLINE: Anfang Oktober werden die Nobelpreise verliehen - Physiker, Chemiker, Mediziner sind in den Schlagzeilen. Macht einen das als Mathematiker nicht neidisch? Der Rummel um Fields-Medaillisten ist ja deutlich kleiner.

Faltings: Mir ist das ganz recht. Die Popularität der Nobelpreise ist ja auch zweischneidig. Als Nobelpreisträger wird man zu allen möglichen Problemen als Experte befragt und um Stellungnahmen gebeten. Ich finde gut, dass man als Mathematiker nicht so im Mittelpunkt steht.

SPIEGEL ONLINE: Sie waren ein klassischer Überflieger. Mit 23 promoviert, mit 27 Professor, mit 32 die Fields-Medaille. Wie haben Sie das geschafft? Talent? Fleiß? Besessenheit?

Faltings: Ich denke, es war eine Mischung aus Talent, Glück und Fleiß. Talent habe ich sicher gehabt. Man merkte schon in der Schule, dass ich Mathe besser konnte als andere. Und Glück habe ich auch gehabt, weil ich auf ein Thema kam, bei dem andere Leute schon gute Ideen entwickelt hatten, bei der Umsetzung jedoch gescheitert waren. So konnte ich es machen. Was den Fleiß betrifft: Ich bin ein einigermaßen fauler Mensch, aber wenn man ein interessantes Problem hat, dann arbeitet man von selbst daran.

SPIEGEL ONLINE: Was fasziniert Sie an Mathematik am meisten?

Faltings: Es gibt keine Diskussionen darüber, was richtig oder falsch ist. Das ist einigermaßen objektiv bestimmt.

SPIEGEL ONLINE: Mathematik spaltet offenbar die Menschen. Die einen mögen sie, die anderen nicht. Woran könnte das liegen?

Faltings: Ich kann es nicht sagen, weil ich selbst keine Schwierigkeiten damit habe. Aber ich weiß auch nicht, ob das nur die Mathematik betrifft. Nehmen wir zum Beispiel die Musik: Auch da gibt es Leute, die damit kokettieren, unmusikalisch zu sein. Und es gibt viele Leute, die Musik lieben, auch Leute, die eigentlich kein Talent dafür haben wie zum Beispiel ich.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind 1985 in die USA nach Princeton gegangen - wegen der besseren Arbeitsbedingungen und der hochbegabten Studenten dort. Könnte ein Talent, wie Sie es damals waren, heutzutage auch in Deutschland bleiben?

Faltings: Es ging nicht allein um Studenten und das Umfeld. Ich wollte einfach ins Ausland gehen, ein Abenteuer erleben - und in jungen Jahren ist man ja noch flexibel. Wenn man so eine Gelegenheit hat, dann möchte man die auch nutzen. Außerdem konnte ich in Princeton anonymer leben, weil es dort viele Koryphäen gab, so dass ich nicht weiter aufgefallen bin.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben damals kritisiert, dass der Massenbetrieb an den deutschen Unis zu Lasten der Spitzenkräfte geht, die sich kaum entfalten können. Ist das heute auch noch so? Immerhin gibt es ja inzwischen Eliteunis...

Faltings: Das hat sich ein bisschen geändert. Es gibt mehr Kultusminister, die auch auf die Qualität achten. Aber ich glaube, die Dezentralisierung bleibt ein großes Problem. Sie ist zwar für viele Dinge gut, aber eben nicht für die Spitzenforschung. Die guten Leute müssen sich in der Provinz einfach nicht so anstrengen, als wenn sie zentralisiert an einer Uni oder einem Institut wären. In Deutschland gibt es deshalb keine richtig schlechte Hochschule und keine richtig gute so wie Harvard oder Princeton.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie noch einmal 20 wären und am Anfang Ihrer Mathematiker-Karriere stünden: Welches große ungelöste mathematische Problem würde Sie am meisten reizen?

Faltings: So einfach ist das nicht. Man kann nicht sagen, das ist ein wichtiges Problem, und das will ich jetzt lösen. Ich muss auch mathematische Methoden haben, mit denen das gelingt. An den meisten großen Problemen haben sich schon viele kluge Leute versucht - und man sollte nicht unbedingt damit rechnen, dass man klüger ist als die. Die einzige Chance ist, ein mathematisches Werkzeug zur Hand zu nehmen, das die anderen noch nicht hatten. Wenn ich ein solches neues Werkzeug hätte, würde ich das Problem lösen.